Sensibel und doch so stark – Ein Interview mit Kardiologin Prof. Sandra Eifert
Ihr Pumporgan ist kleiner und eine Gefäßverkalkung äußert sich, ebenso wie ein
Infarkt, bei ihnen auf andere Art – dennoch nehmen viele Frauen ihr Herz nicht ernst genug. Eine Kardiologin erklärt im My Life-Interview, was den Lebensmotor schützt
Das Frauenherz muss sich mehr anstrengen als das eines Mannes, um seine Aufgabe zu erfüllen: den Körper bis in dessen entlegenste Regionen mit Blut und Sauerstoff versorgen. Und das ist nicht der einzige geschlechtstypische Unterschied. Das faustgroße Organ ist anderen Risiken ausgesetzt und es schlägt anders Alarm als bei Männern. Die Betroffenen erkennen frühe Warnsignale aber oft nicht oder nehmen sie nicht ernst. Gefährlich, denn für Frauen endet ein Infarkt im Schnitt immer noch öfter tödlich als für Männer. Prof. Sandra Eifert, Herzchirurgin am Herzzentrum Leipzig, Leiterin der Frauenherzsprechstunde und kürzlich Speakerin auf dem BXX-Wechseljahrs-Event, sagt, warum das weibliche Organ mehr Aufmerksamkeit verdient.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen?
Frauenherzen sind, anatomisch gesehen, kleiner, sie wiegen im europäischen Durchschnitt ca. 250, Männerherzen 300 Gramm. Besonders auffällig ist dieser Unterschied an der linken Herzkammer: Sie bringt es bei Frauen im Schnitt auf 103, bei Männern auf 155 Gramm. Hormone und seelischer Stress beeinflussen das Herz unterschiedlich: Bei Männern ist das Geschlechtshormon Testosteron verantwortlich, es stattet sie generell mit mehr Muskelmasse aus, auch am Herz. Bei Frauen muss das Pumporgan für dieselbe Leistung mehr tun. Sind bei den Männern ca. 70 Schläge pro Minute in Ruhe normal, kommen Frauen im Schnitt auf zehn Schläge mehr. Auch der Durchmesser und der Querschnitt der Herzkranzgefäße – die Gefäße, die das Herz selbst mit Blut und Sauerstoff versorgen – sind im weiblichen Körper kleiner. Darum bekommen Frauen tendenziell weniger Bypässe bei der Operation.
Sind die weiblichen Hormone ein guter Herzschutz?
Ja. Frauen sind durch die weiblichen Geschlechtshormone viele Jahre vor einem Herzinfarkt und anderen Herz-Kreislauf-Leiden geschützt. Östrogen hält das Herz gesund und jung, bewahrt vor Entzündung und Arteriosklerose, reguliert den Blutdruck, macht stressresistenter. Es wirkt wie ein „Gefäßputzer“, verhindert gefährliche Ablagerungen und hält die Arterien elastisch – in der gebärfähigen Lebensphase. Mit dem Abfall der Hormone während und nach der Menopause nimmt dieser Schutz ab: die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Das ist Betroffenen jedoch oft nicht bewusst. Frauen sind im Schnitt zehn Jahre älter als Männer, wenn sie einen Herzinfarkt erleiden, etwa 70 Jahre. Manche sind auch jünger, etwa Patientinnen, die beispielsweise wegen einer Krebstherapie vor dem 40. Lebensjahr in die Wechseljahre kommen. Sie haben ein dreifach erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Laufe ihres Lebens. Alle Frauen sollten daher ihr Herz nach der Menopause untersuchen lassen. Idealerweise regelmäßig, etwa alle ein bis zwei Jahre – je nach Befund und Risiko.
Sind Frauen dann genauso gefährdet wie Männer?
Nein. Zwei Drittel der Patienten mit einem Infarkt sind Männer. Die klassischen Risikofaktoren spielen bei beiden Geschlechtern eine Rolle – allerdings in unterschiedlichem Maß. Bluthochdruck und Diabetes haben bei Frauen einen stärkeren Effekt. Frauen sind zum Beispiel schon bei einem etwas erhöhten Blutdruckwert gefährdet, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln; dieser sollte bei Frauen 130 mmHg nicht überschreiten und bei Männern unter 140 mmHg liegen. Da sich Bluthochdruck aber lange nicht bemerkbar macht, empfiehlt es sich, regelmäßig zu messen. Es gibt hier eine positive Entwicklung: Dem aktuellen Deutschen Herzbericht 2022 zufolge ist die Sterblichkeit nach Herzinfarkt generell gesunken. Das ist wunderbar!
Aktuelle Forschungen zeigen, dass die Gefäße der Frauen anders erkranken. Was ist der Unterschied zu Männergefäßen?
Bei Männern liegt bei der Herzkranzgefäßerkrankung eher eine örtlich begrenzte, mechanische Verstopfung vor, durch Ablagerungen wie Cholesterin in oder an der Gefäßwand, die zur Einengung und manchmal zum Verschluss des Gefäßes führen. Dies kann auch bei Frauen der Fall sein. Eine größere Rolle spielen bei ihnen jedoch Entzündungsprozesse an und in der Gefäßwand. Dabei kommt es weniger zu der lokal begrenzten Verengung, sondern die gesamte Gefäßwand ist verdickt und umgebaut. Es liegt also nicht die „männertypische“ Form der Herzkranzgefäßerkrankung vor.
Sind die Ursachen auch andere?
Ablagerungen in den Gefäßen werden zum Beispiel durch Diabetes und Bluthochdruck begünstigt, auch bei Frauen. Hinzu kommen „weibliche“ Risikofaktoren wie Rheuma oder Autoimmunerkrankungen und Schwangerschaftskomplikationen: Hier ist das Risiko, im Laufe des Lebens einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall zu erleiden, doppelt so hoch.
Was hilft in diesem Fall?
Betroffenen Frauen wird zur Vorbeugung eine lebenslange Therapie mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Fettsenkern (Statine) empfohlen. Letztere können die Fette und besonders das „böse“ LDL-Cholesterin im Blut ausbremsen und dessen Ablagerung verhindern. Sie wirken Entzündungen entgegen und erhöhen die Überlebensrate nach einem Herzinfarkt.
Gibt es Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten bei Männern und Frauen?
Ja. Die meisten Herzmedikamente sind gut für beide Geschlechter, nur die Dosis kann unterschiedlich sein. Diese müsste eigentlich anhand der Muskelmasse berechnet werden, die bei Männern und Frauen anders verteilt ist. Wenn Frauen Fingerhut-Präparate gegen Herzrhythmusstörungen einnahmen, hatten sie sogar eine höhere Sterblichkeit. Der Effekt auf die Herzfrequenz ist dabei stärker, weil das Herz kleiner ist und schneller auf den Wirkstoff reagiert. Es schlägt eventuell zu langsam. Das kann daran liegen, dass das Präparat einfach zu hoch dosiert wurde. Es wird Frauen aber nur noch selten und unter bestimmten Bedingungen verordnet. Eine zu hohe Dosis ist möglicherweise auch der Grund für verstärkte Nebenwirkungen bei anderen Herzmedikamenten. So leiden Frauen zum Beispiel häufiger an Reizhusten, wenn sie ACE-Hemmer einnehmen.
Was können die Patientinnen dagegen tun?
Wenn sie Nebenwirkungen beobachten, unbedingt mit dem Arzt sprechen. Er kann die Dosis anpassen oder ein anderes Präparat verschreiben. Das Mittel aber besser nicht eigenmächtig absetzen.
Ist ein weiblicher Infarkt immer anders?
Nein. Herzinfarktsymptome können klassisch sein, wie etwa starker Druck hinter dem Brustbein oder Atemnot. Es gibt aber gerade bei Frauen auch unspezifische Symptome wie Müdigkeit, abnehmende Belastbarkeit oder Oberbauchbeschwerden. Nicht hinter jeder Übelkeit steckt gleich eine Herzerkrankung. Aber: Wenn Übelkeit unter Belastung wiederholt auftritt und eine zunehmende Abgeschlagenheit vorliegt, sollte die Patientin dem Arzt das genau schildern und um Überweisung zum Kardiologen bitten. Das gilt auch für häufiges Nasenbluten mit Kopfschmerzen und Schwindel, mögliche Anzeichen für Bluthochdruck. Wichtig ist bei Frauen die Untersuchung des Herzens unter Belastung, also auf dem Laufband oder Fahrrad. Häufig zeigt sich erst hier die Ursache.
Wann sollte man mit Rhythmusstörungen zum Arzt?
Herzrhythmusstörungen sind häufig. Sie treffen Frauen eher und können generell während des weiblichen Zyklus oder in hormonellen Umstellungsphasen auftreten. Es hängt aber auch davon ab, wie empfindsam eine Patientin ist: Manche Frauen spüren „Stolperer“ sehr stark, andere weniger. Wenn diese Störungen jedoch häufiger auftreten oder sich über einen gewissen Zeitraum verstärken, empfehle ich, einen Arzt zu konsultieren. Fitnessuhren und bestimmte Apps können heutzutage wertvolle Hinweise geben. Sie ersetzen den Arztbesuch allerdings nicht. Um eine Herzrhythmusstörung zu diagnostizieren, empfiehlt sich ein Langzeit-EKG, das mindestens 24 Stunden getragen wird.
Wirkt Stress stärker auf Frauenherzen?
Ja. 95 Prozent der Patienten mit dem sogenannten Broken-Heart-Syndrom (engl. broken heart = gebrochenes Herz) sind Frauen, 90 Prozent der Patientinnen sind älter als 50 Jahre. Auslöser sind starke psychische und emotionale Belastungen wie Tod eines nahestehenden Menschen, Scheidung, Probleme im Job oder finanzielle Sorgen. Man nimmt an, dass der Stress das Frauenherz in dieser speziellen Situation überstimuliert. Dies kann zum Pumpversagen mit der Folge einer eingeschränkten Funktion und einer besonderen Form der linken Herzkammer führen. Wird das rechtzeitig erkannt und therapiert, kann sich das Herz wieder völlig erholen.
Wie lässt sich vorbeugen?
Anti-Stress-Strategien sind langfristig sinnvoll, denn Stress führt bei Frauen viel häufiger auch zum „echten“ Infarkt. In extrem belastenden Situationen sind Verhaltens- und gegebenenfalls Psychotherapien wirksam. Ansonsten helfen einfache Entspannungstechniken wie Yoga – aber nur, wenn diese selbst nicht zum Stress werden. Oft wirkt schon, für schöne Rituale im Alltag zu sorgen. Diese können ganz unterschiedlich sein. Manche Frauen entspannen bei Handarbeit gut, anderen hilft Sport besser.