In der Behandlung von Brustkrebs haben Forscher bahnbrechende Fortschritte gemacht. Tumoren werden vermehrt mit Blick auf die Patientin, gezielter sowie schonender bekämpft. Wir sprachen sprach mit zwei herausragenden Onkologen.
Eben noch das normale Leben, Kinder, Job, viele Pläne, der pralle Alltag – und im nächsten Moment schwer krank. Für viele Frauen ist das ein Schock – und eine große seelische Belastung. Brustkrebs ist der häufigste Krebs bei Frauen, jährlich erkranken in Deutschland rund 70.000 an einem Mammakarzinom. Dank enormer Fortschritte in der Therapie wird Brustkrebs aber inzwischen in 80 Prozent der Fälle geheilt – solange der Tumor nicht in andere Organe gestreut hat.
Im fortgeschrittenen Stadium können die Mediziner die Tumorzellen nicht mehr zum Verschwinden bringen. Mit Medikamenten lässt sich der Krebs jedoch oft über viele Jahre gut kontrollieren. „Der Weg hin zu einer personalisierten Medizin in der Brustkrebstherapie geht beständig weiter“, so Prof. Achim Wöckel, Direktor der Universitätsfrauenklinik Würzburg und Koordinator der aktuellen Brustkrebs-Leitlinie. „Die Therapievielfalt wächst, wir haben deutlich mehr Wirkstoffe als früher und bieten zunehmend individuelle Optionen an.“
Wichtig zu wissen: Krebs ist so gut wie nie ein Notfall, Betroffene haben die Zeit, sich in Ruhe über ihre Erkrankung und die Behandlungsoptionen zu informieren. Die folgenden Fragen sind dabei wichtig:
Welche Art Brustkrebs habe ich?
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Heute wird die Erkrankung sehr präzise in molekulare Subtypen eingeteilt, die mit unterschiedlichen Therapiekonzepten verbunden sind. Mehrere Faktoren beeinflussen, wie sich die Tumorzellen vermehren. Manche Brustkrebszellen weisen bestimmte Bindungsstellen auf ihrer Oberfläche auf.
Hormonempfindlich: Lassen sich Rezeptoren für Östrogen und Progesteron nachweisen, handelt es sich um hormonempfindlichen Brustkrebs, der in die Varianten Luminal A und Luminal B unterteilt wird. Manche Luminal-B-Tumoren tragen auch noch die Wachstumsfaktorrezeptoren HER2 auf ihrer Oberfläche.
HER2-Status: Typisch ist das vermehrte Vorhandensein von Wachstumsfaktoren auf der Zelloberfläche – Patientinnen mit dieser Variante müssen mit einem aggressiveren Verlauf rechnen. Zielgerichtete Therapien haben die Heilungschancen aber stark verbessert: Sie unterbinden das Wachstumssignal in der Zelle. Der HER2-Status wird mit HER2-positiv, -negativ bzw. -low angegeben.
Triple-Negativ: Wenn keine hormonellen Rezeptoren und nur wenige HER2-Bindungsstellen vorhanden sind, spricht man von triple- negativem Brustkrebs. Dieser ist aggressiver und schwerer zu behandeln als andere Brustkrebsformen.
Durch die Möglichkeit, Tumoren molekularbiologisch zu untersuchen, hat sich die Krebstherapie grundlegend gewandelt. Anhand des Gewebes, das die Ärzte mittels Biopsie oder bei der OP entnehmen, können bestimmte Tests durchgeführt werden, welche die Vorgänge in den Zellen genau analysieren. Diese Biomarker helfen, die Bösartigkeit und Charakteristik des Tumors einzuschätzen und Ansätze für die Therapie abzuleiten. So wird neben dem Hormon- und dem HER2-Rezeptorstatus heute auch der Biomarker Ki-67 erfasst. Der Wert gibt an, wie es um die Teilungsgeschwindigkeit von Krebszellen bestellt ist – je höher, desto aggressiver.
Generell gilt: „Je früher der Tumor entdeckt wird und je eindeutiger wir seine Eigenschaften beschreiben können, desto größer sind die Heilungsaussichten“, sagt Prof. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Brauche ich wirklich eine Chemotherapie?
Diese Frage betrifft viele Patientinnen mit hormonempfindlichem, HER2-negativem frühem Brustkrebs, der häufigsten Brustkrebsvariante. Mit Genexpressionstests lässt sich das Rückfallrisiko besser einschätzen. Anhand von Tumorgewebeproben wird berechnet, wie groß die individuelle Wahrscheinlichkeit ist, dass sich erneut Zellen fehlerhaft reproduzieren und zu Krebszellen entarten. Je niedriger der „Recurrence Score“ (engl. recurrence = Wiederauftreten; score = Quote) ausfällt, desto mehr spricht dafür, auf die Chemotherapie zu verzichten, denn sie kann neben akuten auch Langzeitnebenwirkungen verursachen.
Für die Therapieplanung ist der Gentest einer von mehreren Bausteinen. Bei der Ersterkrankung bezahlen ihn die Krankenkassen, wenn keine Lymphknoten befallen sind. „Mittlerweile zeigen neue Studien, dass er auch bei geringem Befall von einem bis drei Lymphknoten sinnvoll ist“, weiß Prof. Harbeck. Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft derzeit, ob die Testung Kassenleistung wird. Bis dahin bleibt Betroffenen nur die Möglichkeit, den Test selbst zu bezahlen (ca. 3300 Euro). Einige Brustzentren haben auch eine ambulante spezialärztliche Versorgung, über die sich das Verfahren bereits abrechnen lässt.
Wie reagiert der Tumor auf Medikamente?
Bis vor wenigen Jahren galt die Devise, einen Tumor möglichst rasch zu entfernen. Doch mit dem Verständnis, dass Brustkrebs eine Systemerkrankung ist, die den gesamten Körper betrifft, gehen Ärzte inzwischen differenzierter vor. Medikamente zur Krebsbekämpfung haben an Bedeutung gewonnen, immer öfter kommen Zytostatika oder Antihormonwirkstoffe vor der OP (fachsprachlich: neoadjuvant) zum Einsatz.
In 70 Prozent aller Fälle ist Brustkrebs hormonempfindlich. „Seit Kurzem bieten wir die präoperative Antihormontherapie an, die sich natürlich auch mit dem Gentest kombinieren lässt“, sagt Prof. Harbeck. Damit können die Experten herausfinden, ob eine Chemo nötig ist. „Wir nutzen einfach die Information aus dem Tumor“, erklärt die Onkologin. „Vor der Operation geben wir vier Wochen lang eine Antihormontherapie, welche die Patientin ja auch hinterher braucht.“ Ist im OP-Präparat die Wachstumsrate der Tumorzellen sehr niedrig, funktionieren die Medikamente gut. „Wir können mit dem Wissen, das wir über den Tumor sammeln, pro Jahr 15000 Frauen die Chemotherapie ersparen – ohne dass die Prognose sich verschlechtert“, so die Expertin.
Ausgezeichnet. „Die schnelle Operation kann für manche Patientin die falsche Entscheidung sein.“ Das Konzept dieser „dynamischen Testung“ wurde in Deutschland durch Studien an 80 Zentren vorangetrieben und ausgewertet. Prof. Nadia Harbeck hat für ihre klinische Forschung dazu den Deutschen Krebspreis 2023 erhalten – eine der höchsten Auszeichnungen in der Onkologie.
Welche Therapie ist die beste für mich?
Liegen alle Informationen zur Biologie des Tumors auf dem Tisch, besprechen die Experten im Tumorboard, welcher Therapieplan den größten Erfolg verspricht – eine komplexe Aufgabe, da neben der Operation Chemo, Bestrahlung, Antihormon-, Immun- und Antikörpertherapien sowie weitere neue Wirkstoffe zu den Optionen gehören. Auch die Frage der optimalen Reihenfolge wird diskutiert.
„Die primäre Behandlung muss sitzen, das ist nach wie vor das onkologische Hauptprinzip“, sagt dazu der Brustkrebsspezialist Prof. Achim Wöckel. „Dabei versuchen wir heute vermehrt, keine Übertherapie zu verursachen.“ Es bleibe aber immer auch eine Gratwanderung.
Was „können“ neue Medikamente?
Die Antihormontherapie hat mit den CDK4/6-Inhibitoren eine Weiterentwicklung erfahren. Die Medikamente sind in der Lage, in den Zyklus von Zellen einzugreifen und so das Wachstum von Krebszellen zu verhindern. Dadurch verstärken sie die Wirksamkeit der antihormonellen Therapie. Drei Substanzen dieser Klasse sind schon länger bei metastasiertem Brustkrebs zugelassen. Seit April 2022 steht der Arzneistoff Abemaciclib auch beim frühen Stadium zur Verfügung. „Diese Erweiterung ist ein großer Fortschritt für Frauen, die trotz Chemo- und standardmäßiger Antihormontherapie immer noch ein hohes Rückfallrisiko haben“, so Prof. Harbeck. „Die Nebenwirkungen sind überschaubar.“ In wenigen Jahren wird man zudem wissen, ob die Gabe eines CDK4/6-Inhibitors die Chemotherapie bei bestimmten Patientinnen sogar ersetzen kann – eine Studie mit 5000 Probandinnen läuft derzeit in Deutschland.
Chemo im Rucksack: Neu im Therapiearsenal sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, kurz ADC (engl. antibody-drug conjugate). Das sind zielgerichtete Medikamente, bei denen ein Antikörper das Chemotherapeutikum direkt zu den Tumorzellen bringt und den Wirkstoff dort ablädt. „Eine Standardchemo flutet überall gleich an, auch mit dem gleichen Schadenspotenzial“, sagt Onkologe Prof. Wöckel. „Der Antikörper spürt die Tumorzellen dagegen anhand ihrer spezifischen Oberflächeneigenschaften exakt auf.“
Die sehr kleinen Chemomoleküle entfalten ihre toxische Wirkung übrigens nicht nur in den Krebs-, sondern auch in den Nachbarzellen. Dieser sog. Bystander-Effekt ist jedoch erwünscht, da zu einem Tumor völlig verschiedene Zellen gehören, die das entsprechende Oberflächenmerkmal zum Teil nicht aufweisen. Das optimiert die Therapie-Effektivität.
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate sind beim metastasierten triple-negativen sowie beim HER2-positiven Brustkrebs zugelassen – und seit Kurzem auch bei HER2-low-Tumoren. Weitere ADCs sollen künftig Chemotherapien zunehmend ersetzen. Die Nebenwirkungen gleichen denen einer Chemo: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blutbildveränderungen. Selten tritt eine spezielle, ernste Lungenerkrankung auf. „Engmaschige Kontrollen sind wichtig, und die Patienten müssen gut aufgeklärt sein“, rät Prof. Wöckel.
Eine Herausforderung bleibt der triple-negative Brustkrebs. „Entzieht sich der Tumor allen Angriffspunkten, die wir kennen, ist es schwierig“, sagt Prof. Harbeck. Seit 2022 gibt es aber die Möglichkeit, nicht nur im fortgeschrittenen, sondern auch im Frühstadium bei hohem Rückfallrisiko eine Immuntherapie mit dem Antikörper Pembrolizumab einzusetzen: Er mobilisiert die Körperabwehr gegen den Tumor. „Das Medikament verbessert die Heilungschancen bei dieser sehr aggressiven Brustkrebsform“, so die Expertin.
Was hilft bei der Krankheitsbewältigung?
Eine Krebserkrankung geht an niemandem spurlos vorüber. Betroffene empfinden es oft als bereichernd, sich auszutauschen und ihr Wissen zu teilen. Es gibt vielfältige Treffen vor Ort, digitale Angebote und Onlinegruppen.
Mehr Hilfe für Patientinnen
Gesammeltes Wissen Einen Überblick auf neuestem wissenschaftlichem Stand bietet „Brustkrebs. Alles, was jetzt wichtig ist“ von Prof. Nadia Harbeck und Ludger Wahlers; Mosaik, 416 S., 26 €
Gut aufgehoben Zertifizierte Brustzentren in Wohnortnähe finden Sie unter oncomap.de
Starke Netzwerke mamazone ist eine große Brustkrebsinitiative, die Frauen unterstützt, stärkt und berät: mamazone.de. Online-Selbsthilfegruppen, Informationsaustausch, Wissenswertes über die Brustgesundheit bietet die Community-Plattform think-pink.club
Unterstützung per App „Pink! Coach“ will die Lebensqualität mit Coaching-Modulen verbessern. Die Anwendung kann ärztlich verordnet werden – genau wie „Untire“. Diese App hat das Ziel, die Erschöpfung (Fatigue) bei Patientinnen zu reduzieren.